Ein Referat von Christian Gartmann vom Schweizer Verband für Krisenkommunikation.
«Kommunikation ist keine Einbahnstrasse»
Empathie, Verständnis für alle Beteiligten, fundierte Kenntnis der Medien und ausserordentliche Einsatzbereitschaft sind entscheidend für erfolgreiche Krisenkommunikation. Dies ist das Fazit des Referats von Christian Gartmanns am VKK-Round-Table vom 18. Februar 2019 in Zürich, in dem er die Krisenkommunikation in Bondo nach dem Bergsturz 2017 analysierte. Die anschliessende Diskussionsrunde vertiefte die Erkenntnisse aus dem Referat von Christian Gartmann. 09.30 Uhr, Mittwoch, 23. August 2017: 3 Millionen Kubikmeter Gestein stürzen durch den Taleinschnitt der Bondasca auf das Dorf Bondo zu. Das aufgrund des Bergsturzes von 2011 gebaute Auffangbecken verhindert, dass Bondo zugeschüttet wird. Evakuationen, mehrere Vermisste und Tote sowie Sachschaden in unterschiedlichem Ausmass konnten nicht verhindert werden. Während Wochen leben Bewohner und Einsatzkräfte im Ausnahmezustand.
Führung durch Kommunikation in der Krise
Wie wurde der Informationsfluss während dieser Zeit sichergestellt? Welches waren die Herausforderungen? Was sind die Erkenntnisse für die Krisenkommunikation? Christian Gartmann, verantwortlich für die Kommunikation des Gemeindeführungsstabs während des Ausnahmezustandes in Bondo, nahm die Teilnehmenden des VKK-Round-Tables mit seinen Bildern und Schilderungen mitten ins Geschehen mit. An Herausforderungen mangelte es nicht: mal gab es keinen Strom, mal keine Verbindung mit der Aussenwelt, ein Überblick, welcher Bewohner wo untergebracht wurde, gab es zu Beginn nicht, von einem vorbereiteten Krisenkommunikationskonzept ganz zu schweigen. Ad-hoc, Stunde für Stunde, mussten die Situation neu beurteilt und die nächsten Schritte priorisiert werden, alles in Abstimmung des Krisenstabs mit Vertretern verschiedenster Institutionen von Bund, Kanton und Gemeinde. Dass Kommunikation in einer Krise ein entscheidendes Element der Führung ist, ist bekannt. Doch wie wird es umgesetzt? Gemäss Gartmann musste sich dieser Grundsatz in der Gesamtorganisation niederschlagen, gleich zu Beginn. Kommunikationsthemen gehörten in jede Lagebeurteilung, die gemeinsame Definition der Botschaften setzte bei jeder Sitzung den Schlusspunkt.
Betroffene zuerst – «intern vor extern» greift zu kurz
Das gemeinsame Verständnis in Bezug auf Sinn und Zweck, wie der Krisenstab vorging, bildet die Basis für eine erfolgreiche Führungsarbeit. In Bondo war klar: Die Betroffenen kommen zuerst. An dieser Maxime orientierte sich der Führungsstab und somit auch die Kommunikation. Dazu zählte eine kontinuierliche Kommunikation vor Ort, die mit verschiedenen Massnahmen wie SMS-Dienst für Evakuierte, offizielle Anschlagbretter in der Gemeinde mit täglichen News sowie Informationsveranstaltungen für die Betroffenen sichergestellt wurde. Neben dem Informationsfluss gilt es auch, Vertrauen aufzubauen, um ein proaktives Issue-Management zu führen. Dazu zählen nicht nur die harten Fakten. Empathie sowie laufende Erklärungen zu den Hintergründen waren entscheidend: Wie sieht die Lage aus? Welche Entwicklungen gibt es? Was machen die Einsatzkräfte? Was ist geplant? Mit welchen Auswirkungen rechnet der Krisenstab heute? Was wird für morgen, mittelfristig und langfristig erwartet?
Die Zielgruppen liessen sich nicht nach der klassischen Einteilung zwischen «intern und extern» segmentieren, sondern nach Ausmass der Betroffenheit. Doch wer ist betroffen? Derjenige, der Vermisst wird, oder seine Ehefrau? Christian Gartmann zeigte auf, dass die Zielgruppendefinition je nach Situation variierte. «Kommunikation ist keine Einbahnstrasse», so Gartmann. Die Sicht der Betroffenen – ob als Dorfbewohner oder als Partnerin eines Zivilschutzmannes, der im Einsatz war – musste in regem Austausch in die Kommunikationsmassnahmen integriert werden.
Klare Regeln definieren den Rahmen
Ein klarer Rahmen mit klaren Regeln, wie beispielsweise, wann tauschen sich die Betroffenen unter sich aus, wann haben die Medien Zugang, schaffte ein vertrauens- und respektvolles Klima: Jeder braucht sein Platz – im Rahmen der Möglichkeiten. Über die gesamte Zeit fokussierte Gartmann darauf, den Kommunikationslead zu behalten, primäre Informationsquelle zu sein und dabei den unterschiedlichen Informationsbedürfnissen gerecht zu werden. Das forderte ihn in jeder Hinsicht, im Extremfall bedeutete es, bis zu 250 Anfragen von Medien innert eines Tages individuell abzuarbeiten. Doch es ermöglichte, dass auch unter extremsten Umständen ein respektvoller Umgang gepflegt wurde, Gerüchte frühzeitig erkannt und bearbeitet werden konnten. «Krisenkommunikation ist Dialog» erklärt Gartmann. Nur so kann das zerstörte Vertrauen nach unterschiedlichen Verlusten wiederaufgebaut werden. Diese beginnen mit dem Verlust der Routine, führen über den zeitweisen oder unwiderruflichen Verlust des Hauses bis hin zum Tod von Angehörigen. Für den Vertrauensaufbau gilt auch hier wieder, dass der Betroffenenschutz die wichtigste Maxime der Krisenkommunikation ist. Anlaufstellen für Betroffene, aber auch für Hilfsbereite und Hilfeleistende gilt es umgehend zu schaffen. Es braucht genügend Unterkünfte sowie Transparenz darüber, wer wo ist. Es braucht Klarheit, was die Betroffenen bedrückt, welche kritischen Themen in den Medien und am Stammtisch kursieren. Dann ist die Kommunikation zeitnah und bringt die relevanten Inhalte zu Tage, gibt Orientierung im Krisenstab und in der Führung.
Bettina Freihofer Estrada, Vorstand Schweizer Verband für Krisenkommunikation
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